EXPRESS macht den Faktencheck

In seiner Reihe „future“ macht die Zeitung EXPRESS einen sogenannten Faktencheck – diesmal das Verbot von Plastiktüten.

Kölle Global ist nicht ganz einverstanden mit der Argumentation und den vorgetragenen Fakten.

Damit ihr euch den Originaltext anschauen könnt, haben wir diesen hier hinzugefügt. Der Bericht erschien in der heutigen Ausgabe vom 14.08.2019 im KÖLNER EXPRESS.

Des Weiteren haben wir Passagen und Ausschnitte aus dem aktuellen Plastikatlas 2019 des BUND/Heinrich-Böll-Stiftung eingefügt.

Wir können Euch diesen nur ans Herz legen. Ihr bekommt diesen auf der Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung.

Kölle Global Faktencheck zum Faktencheck

1. Falsche Berechnungen im Faktencheck

Beginnen wir mit dem ersten Punkt des Faktenchecks. Hier schreibt Express:

„Wieviel Plastiktüten verbrauchen wir überhaupt noch…“

Laut Express wurden 2018 2 Mrd Tüten in Umlauf gebracht und errechnet daraus „ca 20 Tüten pro Einwohner und Jahr“.

Wenn wir in Mathematik richtig aufgepasst haben und den handelsüblichen Taschenrechner benutzen, so kommen wir zu dem Fakt, daß es pro Einwohner und Jahr 24 Tüten sind.

Hieraus berechnen wir 83 Mio Einwohner und die 2 Mrd Tüten. Der Express schönt somit in seinem Faktencheck schlappe 20%. Macht ja nix, sieht auch viel schöner aus, weil es zur Grafik passt.

Es ist richtig, daß der Verbrauch an Plastiktüten gesunken ist. Leider bleiben aber immer noch 2 Mrd Tüten (von ehemals 7) übrig. Dies als Grund heranzuziehen, daß für diese Menge ein Verbot sinnlos sei, wird im Artikel nicht weiter ausgeführt. Hier wird aus einem Fakt eine Meinung.

Gemäß dem Motto: wir haben 2/3 des Weges geschafft – wir müssen nicht weitergehen…?

Kein Fakt, sondern eine Meinung.

2. "Die anderen sind viel schlimmer als wir"

Beim nächsten „Fakt“ behauptet Express, daß unser „Anteil“ (warum dies in Anführungszeichen geschrieben ist, weiß nur der Autor) an der weltweiten Verschmutzung der Ozeane „Gering!“ sei. 

Hier erkennen wir wieder das alte Motto „ich bin gar nicht so schlimm, die anderen sind viel schlimmer“.

Dies allerdings in eine Reihe namens „Future“ zu bringen und aufklären zu wollen ist schon fast unverschämt.

Laut Artikel ist der Jangtse Fluss mit einem jährlichen Plastikmüll von 330.000 Tonnen der dreckigste Fluss auf Erden.

Dieser Fakt ist richtig, aber nicht der Zusammenhang (wieso ist unser Anteil dann gering?). Schauen wir uns den Beitrag aus dem Plastikatlas 2019 der Heinrich-Böll-Stiftung/BUND einmal genauer an (Quelle: siehe Einleitung):

Grafik aus Plastikatlas 2019. Copyright: PLASTIKATLAS | Appenzeller/Hecher/Sack CC-BY-4.0

Seit 1988 war China die „Müllhalde der Welt“. 56% der Plastikabfälle weltweit wurden nach China verfrachtet. China stellte diese Importe im Jahr 2018 ein und stellte gerade die G7 Nationen vor große Probleme. 

Allein Deutschland hat 2018 740.606 Tonnen Plastikmüll exportiert (nun vorrangig nach Malaysia, Niederlande, Hongkong und Indien). 

Dazu kommt, daß unser Rhein die höchste Mikroplastik-Belastung weltweit aufweist (gemessen in Teilchen pro Quadratkilometer) (Quelle: Uni Basel http://www.nature.com/srep/).

Mikroplastik wird von vielen Organismen aufgenommen und stellt eine ernsthafte Gefahr dar. Diese ist zwar im Vergleich zum Jangste nicht so „schwer“, macht aber pro Jahr 10 Tonnen Mikroplastik aus. Man nimmt an, daß es mehr Mikroplastik im Rhein gibt, als Fischlarven.

Die Behauptung unser Anteil sei „gering!“ ist schlichtweg falsch.

FAKT WIDERLEGT.

3. Durch Littering sind die Verbraucher haftend, nicht die Industrie

Weiter geht es im Faktencheck mit der Behauptung von Lars Hancke (IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen), daß die Industrie nicht für das achtlose Wegwerfen der Verbraucher*innen verantwortlich gemacht werden kann (die Aussage eines Vertreters der Kunststoffindustrie als FAKT darzulegen, lassen wir bewusst unkommentiert).

Nun kommen wir zu einer immer wiederholten Behauptung der Industrie und Hersteller, für den tonnenweisen Plastikmüll nicht verantwortlich zu sein. Wollen wir diesen Fakt doch auch mal checken und bedienen wir uns einiger Beispiele (ebenfalls aus dem Plastikatlas 2019).

Beispiel 1: Softdrinkhersteller:

Ein großer Softdrinkhersteller produziert pro Jahr 88.000.000.000 (88 Mrd) Einwegflaschen weltweit. Dabei sorgt er für 3.000.000 Tonnen Verpackungsabfälle

Wäre dieser Anteil so hoch, wenn dies Mehrwegflaschen wären?

Beispiel 2: Süssigkeiten-Hersteller

Es gibt kleine Schokopralinen für Kinder, die einzeln in kleinen Plastikpapier verpackt und hierum eine große Plastikverpackung gefüllt wird.

Dies dient natürlich der Wahrung der Qualität und daß die kleinen Schokokugeln nicht zusammenkleben.

Mit welchen Mitteln andere Hersteller dies ohne höchsten Plastikmüll schaffen, ist hier eher ein Rätsel.

Schuld haben hier auch die Verbraucher*innen….

Grafik aus Plastikatlas 2019. Copyright: PLASTIKATLAS | Appenzeller/Hecher/Sack CC-BY-4.0

Gerade die im Bericht genannten Unternehmen arbeiten zum Teil seit Jahrzehnten an der Mär „der Verbraucher will es so“ und „der Verbraucher ist Schuld“.

Diese Behauptung erachten wir als grundsätzlich falsch, denn Verpackungen werden in Massen und immer höherer Zahl produziert. Verwertet wurde bisher weniger als 10% (siehe später Recycling Quote).

Die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen ist vielerorts gescheitert und es gibt nur wenige (aber dafür umso erfreulichere) positive Beispiele von Herstellern.

FAKT IST KAUM HALTBAR

4. Papier und Baumwolle ist eigentlich schlimmer

Nun widmet sich Express den Alternativen zur Plastiktüte – Papier und Baumwoll/Stofftragetaschen. 

Beim Lesen des Artikels bekommt man das Gefühl, daß die Plastiktüte eigentlich immer „besser“ ist.

  • Papiertüten sind in der Herstellung immens energie- und wasseraufwendig
  • Grundstoff Holz (auch knapp) und Chemikalien werden eingesetzt
  • Ein Mix aus Papier und Plastik ist von der Ökobilanz schlecht
  • Bioplastiktüten sind nicht besser als die anderen Plastiktüten (stimmt sogar)
  • Stofftaschen – Wasser, Pestizide und lohnen sich erst bei 100fachem Einsatz.

Zuerst: Bioplastik hat entscheidende Nachteile. Es wird suggeriert, daß diese ökologisch sind und weniger belasten. In den seltensten Fällen sind diese jedoch kompostierbar oder abbaubar. Dies wird auch im Plastikatlas 2019 deutlich gemacht.

Ein chemisches Produkt wie Plastiktüten jedoch indirekt „besser“ zu machen, ist ein Widerspruch in sich. 

-> Plastiktüten aus Polyethlyen bestehen aus dem Grundstoff Erdöl und der chemischen Verarbeitung. Auch Erdöl ist ein knapper fossiler Grundstoff.

Hinzu kommt, daß die Nutzung der Plastiktüte auf wenige Minuten (Durchschnittsalter einer Plastiktüte 14 Minuten) begrenzt ist, bevor sie entsorgt wird. Das dies besser sei, als eine mehrfache Nutzung?

Auch hier sei wieder auf den späteren geringen Recycling Anteil verwiesen.

Warum wird als Fakt nicht auf die mehrmals zu verwendende Tüte hingewiesen? Dies wird uns für immer ein Rätsel bleiben.

Fakt ist hier, daß kein Fakt dargelegt wurde, sondern die Nachteile der Alternativen aufgezählt wurden, während die Nachteile der Plastiktüte in den Hintergrund geraten. 

5. Magere Recycling Quote und lieber Tüten mit blauem Engel

In diesem entscheidenden Block des Artikel des Express wird auf die magere Recycling Quote von „16 Prozent“ hingewiesen.

Fangen wir wieder mit Fakten an: Der Plastikatlas weist eine bereinigte Recycling Quote von 15,6% aus. 

Obwohl wir vorbildlich in der Sortierung sind und hohe Ziele in das Duale System und Recycling setzten, stehen wir mit der mageren Quote auch im Vergleich der EU dar. 

Anstatt bei uns zu recyclen, exportieren wir Unmengen an Plastikmüll ins Ausland oder verbrennen diesen. Deutschland ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Plastikmüll (hinter USA und Japan).

Allein dieser Block widerspricht den o.g. Fakten, wie der Alternativlosigkeit von Papier, Stoff und das wir viel weiter sind, als 2015.

Da wir unsere Wertstoffe immer noch nicht in großem Umfang wieder verwerten, sondern verfeuern und verschicken, zeigt das Problem auch exemplarisch an der Plastiktüte.

Das eine Plastiktüte mit 80% Recycling-Anteil nun besser ist, mag eine Empfehlung sein, aber immer noch kein Fakt.

KEINEN FAKT GEFUNDEN.

Ergebnis des Faktenchecks und Kommentar

Das Ergebnis des „Faktenchecks“ von Express ist „wieso das Quatsch ist“ und „ein Verbot für die Tonne„.

Wir kommen zu einem komplett anderen Ergebnis:

  • dies ist kein „Thema für die Tonne“, sondern ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Wenn wir Plastikmüll vermeiden wollen, kann ein Verbot der Plastiktüte ein logischer Schritt sein. Allerdings gibt es noch Unmengen an Verpackungsmüll.
  • Die Ersparnis an verbrauchten Plastiktüten ist erfreulich, aber das Problem ist noch nicht gelöst. Der freiwilige Verbrauch ist stasrk reduziert, aber es bleiben nach 19 Jahren immer noch 2 Mrd Tüten!
  • Desto früher wir auf Verpackungen und Tüten, sowie Wegwerf- und Einmalprodukte verzichten, desto schneller erreichen wir das dringend notwendige Ziel im Kampf gegen Klimawandel und für den Umweltschutz.

Und zu guter Letzt an die EXPRESS Redaktion:

Wenn ihr Artikel schreibt und hierin Fakten suggeriert (Faktencheck), dann bleibt faktisch. Dies ist euch komplett misslungen. Wir stellen uns noch die Frage: was wolltet ihr hiermit bezwecken?

Die Kommentarfunktion ist offen 🙂 


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